Tag 292: Gipsy Chicken

Ich mag den Satz “Der Weg ist Ziel” eigentlich nicht, aber bei unserem heutigen Reiseabschnitt war die vierte Fahrt über die unzähligen Inseln, die Keys genauso beeindruckend, wie das am Ende liegende quirlige Key West.

Unterwegs gab es viel zu sehen: unglaubliche Farbspiele des Golf von Mexiko auf der rechten und des Atlantik auf der linken Seite.

Auch die vom Hurrikan zerstörten alten Brückenkonstruktionen sind beeindruckend.

Schon von Weitem konnten wir ein paar Kilometer vor dem Tagesziel ein riesiges Luftschiff am Himmel sehen, das sich nicht zu bewegen schien.

Später haben wir herausgefunden, dass es sich dabei um Fat Albert, einem sogenannten Blimp handelt, der an einer Leine hängend seit 1978 die Gegend überwacht.

Nicht nur für uns, sondern auch für Bertha war der erneute Besuch von Key West ein tolles Erlebnis.

So viele freilaufende Hähne und Hennen haben wir noch nirgends gesehen.

Die gipsy chicken wurden Mitte des 19. Jahrhunderts von Kuba nach Key West gebracht. Damals waren Hühner dort das große Geschäft. Spanische und portugiesische Seefahrer brachten eine philippinische Kampfhuhnrasse mit nach Kuba. Züchter kreuzten diese Philippinenhühner mit einheimischen Tieren. Aus dieser Kreuzung entstanden die großen und aggressiven Cubalaya.

Nach der Weltwirtschaftskrise von 1857 kamen die ersten Kubaner nach Key West, das nur 90 Meilen weiter im Norden liegt.

Sie brachten ihre Passion für den Hahnenkampf und ihre Hühner mit, die sie aber auch mit Fleisch und Eiern versorgten. Und viele Kubaner folgten, angezogen durch die Zigarrenmanufaktur des Spaniers Vicente Martinez-Ybor, der nach den Kriegswirren 1869 Kuba verlassen hatte, um sich zunächst in Key West niederzulassen. Bis zum Jahr 1890 bestand nahezu die Hälfte der Bevölkerung von Key West aus Kubanern. Und sie brachten alle ihre Hühner mit.

Im Laufe der Zeit wurde die Haltung von Hühnern für die Haushalte entbehrlich, da man sich mit Fleisch und Eiern auf lokalen Märkten versorgen konnte.

Dazu kam, dass der Hahnenkampf, dieser blutrünstige “Sport”, gesetzlich verboten wurde. Glück für die Cubalaya. Die glücklichen Hühner wurden freigelassen und wanderten von nun an auf den Straßen von Key West frei umher. Sie vermehrten sich lustig weiter und ihre Population wuchs auf über 2.000 Exemplare an.

Natürliche Feinde waren nur wenige da: Raubvögel und streunende Katzen.

Diese Entwicklung wurde letztendlich zum Problem, dessen man nicht Herr zu werden drohte. Die Hinterlassenschaften der Hühner wurden für die Verunreinigung des Wassers am Strand verantwortlich gemacht.

Aufgrund zahlreicher Beschwerden aus der Bevölkerung hat die Stadt dann Versuche unternommen, die Anzahl dieser frei herumlaufenden Hühner zu reduzieren.

Unter anderem hat man beschlossen, einen Chicken Catcher einzustellen, der die Tiere einfangen und auf das Festland zu einer Farm für freilaufende Hühner bringen sollte. Es wurde aber gemunkelt, dass die Hühner nicht dorthin kamen, sondern statt dessen getötet wurden. Das brachte wiederum die Tierschützer auf die Bühne. Also hat man die neu geschaffene Stelle des Hühnerfängers wieder gestrichen.

Wie auch immer. Mittlerweile ist das Federvieh vor Verfolgern sicher und sie scheinen das auch zu wissen, denn die Tiere stolzieren über die Straßen von Key West und halten den Verkehr nach wie vor auf und krähen und gackern den ganzen Tag.

Aber selbstverständlich gibt es nicht nur Hühner in Key West: eine große Kneipenszene mit Livemusik, viele touristische Läden und Unterhaltungsmöglichkeiten und nicht zuletzt das Hemingway-Haus, das ein Heute ein Privatmuseum ist. Es war rund zehn Jahre das Zuhause des US-Literaturnobelpreisträgers Ernest Hemingway, dessen Lieblingsbars auch heute noch besichtigt werden können.

Wir haben dieses Mal auf den Hemingway Teil verzichtet, den wir bei unseren vorangegangenen Besuchen absolviert hatten und uns lieber durch das Getümmel treiben lassen.

Nachdem Marion sechs Austern verzehrt und wir unseren Durst gestillt hatten, haben wir uns auf den circa 30 Kilometer entfernten Campingplatz aufgemacht.

Dort hat uns ein “Highlight” erwartet: typisch amerikanisch haben wir zum ersten Mal auf dieser Reise eine Margarita im Pool genossen.

So entspannt blieb noch Zeit für ein wenig Statistik.

Key West ist 9.985 Kilometer Luftlinie von unserem nördlichsten Ziel Fairbanks in Alaska entfernt.

Das ist noch ein Stück weiter als die 8.004 Kilometer von Key West zu unserem Heimatort Königsbach.


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